WDR "Dschungel": Sendung vom Dienstag, 25.11.1997

(Es handelt sich um einen Filmtext, der geschrieben wurde um die Wirkung von Bildern optimal zu unterstützen. Ohne Bild liest sich manches etwas merkwürdig - aber ich kann leider nicht alle Texte noch einmal in angemessene Schriftform bringen.

Dschungel: Biosphären-Modelle

Autor: Michael Houben
Kamera: Dieter Stürmer
Schnitt : Birgit Köster
Ton: Jule Buerjes

Klimaforschung ist Computersache ! Die Atmosphäre unseres blauen Planeten, wird in Millionen von Planquadrate zerlegt und berechnet! Die Verdunstung von Wasser, das Verhalten von Eis, Luftdruck, ...alles Wissen über Physik und Chemie des Wettergeschehens, weltweit zusammengetragen, wird in mathematische Formeln gepackt. Und am Ende einer wochenlangen Berechnung spuckt der Computer seine Prognose aus,Seltsam abstrakt, bestenfalls in Form von Grafiken.
Das Videolab des amerikanischem Klimarechenzentrums NCAR, hilft den Wissenschaftlern, ihre Ergebnisse sinnlich erfahrbar zu machen.Doch auch wenn Modelle ein Phänomen wie ‘El Nino’ schon Jahre vorhersagen können:eine grundsätzliche Frage bleibt bisher offen: 0-Ton David S. Schimel, NCAR, Boulder Colorado: "Die Frage ist, ob wir uns darauf verlassen können, daß die Pflanzen weiter Kohlendioxyd aus der Luft holen und den Treibhauseffekt bremsen. Die Sorge ist, daß Pflanzen sterben, wenn es wärmer wird und sogar Kohlendioxyd abgeben, den Treibhaus-effekt verstärken

Formeln für Pflanzen

Nun muß man also auch Formeln für das Verhalten von Pflanzen finden. Für sie ist Kohlendioxyd Nahrung ! Wieviel nehmen sie auf? Wieviel Kohlenstoff wird so in den Pflanzen gespeichert ? Die Atmung der Pflanzen, die Photosynthese, versteht man noch immer nicht bis ins letzte Detail. Nach hundert Jahren der Forschung wissen Biologen aber doch einiges, was als Formel in Klimamodelle einfließen kann.
Die Videos, die die Ergebnisse der Klimamodelle in Bilder umsetzten zeigen heute schon nicht nur den Schneefall, der im Wandel der Jahreszeiten unseren Planeten verändert. Im Wechsel der grünen Flächen, zeigt sich die Pflanzenaktivität. Die grüne Lunge des Planeten, im Wechsel von Sommer und Winter.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung wurde gegründet, um diese Wechselwirkung zwischen Pflanze, Mensch und Klima in Zukunft berechenbar zu machen.Professor Cramer muß dafür zunächst ein Modell schaffen, daß die Gegenwart realistisch beschreibt.Als Test dient der Vergleich mit Satellitenmessungen. Das Modell - rechts - ist etwas gröber, als das Satellitenbild.Im Ablauf der Farbwechsel, der Pflanzenaktivität, stimmen Satellit und Modellrechnung aber gut überein.

Aber wie werden zum Beispiel Buchen in Deutschland wachsen, wenn mehr Kohlendioxyd in der Luft ist.Diese Frage beschäftigt Dr. Manfred Forstreuther an der technischen Universität Berlin. Weil Bäume langsam wachsen, dauern solche Versuche viele Jahre.Auch der technische Aufwand, der für solche Forschung getrieben werden muß, ist nicht nur groß, sondern auch teuer.Temperatur und Kohlendioxydgehalt müssen für jedes Gewächshaus genau geregelt werden. Im zweiten Herbst des Versuches ist eine bei normaler Luft gewachsene Buche deutlich kleiner, als die hintere, die mehr Kohlendioxyd und damit mehr Nahrung bekommen hat. Wachsen Bäume bei höheren Konzentrationen von Treibhausgasen schneller? nehmen sie damit auch mehr Kohlenstoff aus der Luft auf und bremsen so den Anstieg dieser Gase ? Bis solche Fragen endgültig beantwortet werden können wird noch einige Zeit vergehen.

Praktische Versuche

An der Duke Universität, in North Carolina, arbeitet Professor Reynolds in einem ganzen Labyrinth von Klimakammern und Gewächshäusern.Er ist eigentlich Theoretiker.Er entwirft Modelle, die das Verhalten von Ökosystemen berechnen sollen.Doch für ihn ist es wichtig, seine Modelle im Experiment überprüfen zu können.Jede Luftzusammensetzung, jedes Klimakann hier simuliert werden. Und dieser Aufwand ist nötig:
O-Ton Prof Reynolds,Duke University, North Carolina "Es zeigt sich daß Modelle oft nur unsere Hypothesen beschreiben, die Natur hält viele Überraschungen bereit. Es gibt da eine Pflanze, von der wir glaubten alles zu wissen, ein gutes Modell zu haben. Dann haben wir in einem Experiment den Regen von einer Jahreszeit in eine andere verlagert und es geschah etwas ganz anderes als das Modell vorhergesagt hatte. Das Modell hat kläglich versagt. Also müssen wir weitere Experimente machen, lernen und unsere Modelle immer besser machen...

Für ein besonders großes Experiment liefert dieser Truck Kohlendioxyd.Täglich 40 Tonnen,mitten in den Forst der Duke Univerität. Das Treibhausgas wird über kilometerlange Leitungen verteilt... und computergesteuert - vom Boden bis zu den Baumwipfeln - gleichmäßig in die Luft geblasen. Der Betrieb dieses Experimentes kostet rund eine Million Mark pro Jahr. Die im Wald verteilen Masten bilden 6 Ringe. Und in drei dieser kreisförmigen Versuchs-Flächen wird genau die Luftzusammensetzung simuliert, die uns in 50 Jahren erwartet. Drei Ringe erhalten - zum vergleich - normale Luft. Wird sich ein Unterschied zeigen ?
Der Wald in den Versuchsflächen wird komplett verdrahtet. Meßfüller registrieren zum Beispiel, wieviel Wasser der Baum von den Wurzeln in die Krone pumpt.50 Wissenschaftler aus aller Welt arbeiten hier ,was auch immer an einem Wald gemessen werden kann, wird gemessen, Der geistige Vater dieses Experimentes ist Professor Boyd Strain. Ihm ist klar, daß selbst dieses aufwendige Experiment nicht alle Fragen beantworten kann.

O-Ton Prof Boyd Strain, Duke Univerity, North Carolina "Es gibt Produktivität und Produktion. Produktivität beschreibt einen Umsatz... Also das, was der Wald durch Photosyntese an Kohlenstoff aufnimmt. Gegenüber dem, was durch Verrottung wieder an die Luft abgegeben wird. Ungeklärt bleibt, ob die Verrottung schneller abläuft, wenn es wärmer wird. Der Kreislauf wäre schneller, aber es gäbe nicht mehr Pfanzenmaterial.

Keine Bremse in Sicht

Wie der Wald auf eine Erwärmung reagiert, wird dieses Experiment nicht klären: Einen ganzen Wald zu beheizen ist schlicht zu teuer. Doch schon allein die Begasung mit Kohlendioxyd zeigte überraschende Wirkung. Im ersten Jahr führte die zusätzliche Nahrung zu mehr Wachstum.Doch schon im zweiten Jahr blieb das erwartete Mehrwachstum aus. Wahrscheinliche Ursache:Für mehr Wachstum bräuchten Bäume auch mehr Nährstoffe aus dem Boden...und die sind vom Klima unabhängig. War also wahrscheinlich doch nichts mit der 'Bremse'

Doch geht es bei der Abschätzung der Wechselwirkung zwischen Luft und Pflanzen nicht nur um die Pflanzen selbst: Für den einen ist es Laub, für Biologen: Biomasse! Hier steckt ein GroßTeil des Kohlenstoffes, den Pflanzen speichern. Dr. Manfred Forstreuther beschäftigt sich an der TU Berlin auch mit dem Teil des Kreislaufen, der unter der Erde stattfinden. Verrottung ! In der Humus-Schicht leben Springschwänze, Milben, und Bakterien, die all die Biomasse der Bäume wieder vertilgen. Den Anfang machen Pilze..mit dem sogenannten Fensterfraß Die Pilze verdauen die Blattfläche, setzen dabei direkt wieder Kohlendioxyd frei. Die Blatt-Adern dienen anschließend als Futter für Milben und anderes Kleinst-Getier. Und all die Tiere, setzen den Kohlenstoff, den sie aus der Biomasse aufnehmen wieder frei: als Kohlendioxyd. Noch kennt man nicht alle Details dieses komplizierten Systemes.Doch man weiß inzwischen, in welche Richtung es sich entwickeln wird:

Treibhausgas aus der Erde

O-Ton Dr. Manfred Forstreuther TU Berlin "Verrottung läuft um so besser, je wärmes es wird. Und immer wenn Laub oder sonstige Biomasse verrotet entsteht Kohlendioxyd. Auch heute schon steigen immer wieder mal kubikmetergroße Gasblasen aus dem Boden - normalerweise unsichtbar. Bei einer Erwärmung der Erde und damit auch der Böden, könnte also mehr Treibhausgas in die Atmosphäre gelangen, den Effekt noch verstärken. Wenn im neuen Klima mehr Wachstum stattfindet wird der bremsende Effekt aber wahrscheinlich durch verstärkte Verrottung wieder ausgeglichen.

Die Computer müssen immer größere Datenberge bewältigen. Aus Klimamodellen werden Modelle der gesamten Biosphäre. Während deutlich wird, wie auch das Pflanzenwachstum das Klima beeinflusst..zeigt sich das nächste Problem: Einige Pflanzen und Ökosysteme werden die schnelle Temperaturerhöhung kaum überstehen.

Das Resultat zeigt ein Durchlauf des amerikanischen Genesis-Modells bis zum Jahr 2300. In der Videosimulation verschwindet der grüne Wald nicht, weil er von Menschen abgebrannt wird, sondern weil er sich an vielen Orten dem neuen Klima nicht anpassen kann. Eine ähnliche Prognose ergibt sich für Asien. Obwohl an einigen Stellen - hellgrün dargestellt - neue Wälder wachsen, überwiegen die roten Flächen: gestorbener Wald !Insgesamt verliert die Erde in diesem Modell einen großen Teil ihrer Wälder, ihres Kohlendioxyd-Speichers

O Ton Prof. Stanley Thomson NCAR, Boulder, Colorado Als extremes Beispiel: nehmen sie einen Berg, einen einsamen Vulkan, bewaldet, drumherum liegen Felder. Durch Erwärmung wird der Wald nach oben gedrückt, weil das kühle Klima, das er braucht weiter oben herrscht. IIrgendwann ist der Gipfel erreicht.. Für den Wald wäre kein Platz übrig

Wälder können nicht wandern

Wenn Wälder und Pflanzen einem neuen Klima nicht angepaßt sind und sterben, könnten unter Umständen andere Pflanzen, nachrücken, die das neue Klima besser vertragen. Es fragt sich nur, wer schneller ist: nachrückende Pflanzen, oder die Erosion? Denn Wind und Regen können fruchtbare Erde in wenigen Jahrzehnten abtragen.
Falls die Modelle recht behalten, wird der menschliche Kohlendioxydausstoß das Klima in Zukunft deutlich verändern. Schneller und stärker verändern, als bisherige natürliche Schwankungen. Wie empfindlich die Natur schon auf langsame natürliche Veränderungen reagieren kann, konnten Potsdamer Wissenschaftler mit ihrem Modell zeigen. Durch Analyse historischer Klimadaten. Vor 6000 Jahren war die Sahara noch üppig bewachsen....Das Weltklima wurde danach zwar nur langsam wärmer.. Einige Zeit passierte scheinbar nichts, der Sahara-Wald blieb zunächst erhalten. Danach kippte das Öko-System aber vergleichsweise schnell - wurde zur Wüste.

Egal ob Photosynthese oder Verrottung im Boden, Egal ob Boden-Erosion oder Verdunstung von Wasser, jedes Detail der weltweiten Ökosysteme müßte bekannt sein, und in Formeln gepackt. Noch bestehen die Modelle nicht nur aus Daten und Wissen sondern auch aus Schätzung und Vermutung. Viele Abläufe der Natur können die Computer heute schon berechnen.Aber ist das Ziel einer ökologischen Weltformel nicht doch eine Nummer zu groß ? 0-Ton David S. Schimel, NCAR, Boulder Colorado. "Die starke internationale Zusammenarbeit - das weltweite Biosphärenprogramm - das hat die Entwicklung der Modelle viel schneller vorangebracht, als wir vor fünf Jahren vermutet hätten und in noch fünf Jahren sind die Modelle wohl zuverlässig. Aber man kann nie wissen...

Auf jeden Fall aber wäre es naiv zu glauben, die heutige Unwissenheit könnte uns erst einmal beruhigt abwarten lassen, was am Ende wirklich herauskommt. Einige heute noch unbekannte Effekte mögen die Klimaveränderung bremsen, andere aber können sie beschleunigen. Die neuen Erkenntnisse haben bis heute jedenfalls nicht bewirkt, daß die Vorhersagen harmloser geworden sind.